Jan Josef Liefers: „Ich versuche zu tänzeln wie ein Boxer.“
Mit seiner Band Radio Doria ist Schauspieler Jan Josef Liefers (53, „Tatort“) auch musikalisch erfolgreich. Am 29. März kommt er nach Hamburg. Ich habe ihn vorher zum Interview getroffen.
Qultur-HH: Du bist Schauspieler und Musiker. Was ist ähnlich an den Berufen, was anders?
Jan Josef Liefers: Als Schauspieler ist man musikalisch. Denn Sprache – gerade am Theater – hat mit gutem Rhythmusgefühl zu tun. Umgekehrt ist es als Musiker wichtig, dass man keine Angst vor seinem Publikum hat. Das ist, was ein Schauspieler lernt. Unterschiede gibt es in der Art, sich auszudrücken. Musik braucht keine Worte, während ein Schauspielerleben voller Worte ist. Die Sprache der Musik kann man überall verstehen, weil sie über Gefühle funktioniert, nicht über den Verstand.
D.h. du stehst eigentlich lieber als Musiker auf der Bühne?
Die Mischung ist für mich genau richtig. Wenn die Musiker- oder Schauspielerpolizei sagen würde: Du musst dich für eins entscheiden, hätte ich eine harte Zeit vor mir.
Wie gut funktionieren die beiden Jobs zusammen, weil doch beide Berufe hundertprozentige Aufmerksamkeit fordern?
Deshalb mache ich alles nacheinander. Gleichzeitig geht das nicht. Ich bin hundert Prozent dabei, aber nicht 365 Tage im Jahr.
Dann musst du ein gutes Maß an Selbstorganisation haben.
Absolut. Alles muss generalstabsmäßig geplant werden. Ich habe ja auch noch eine Familie, zwei Kinder. Das erfordert wahnsinnig viel Organisation.
Das zweite Album ist das schwerste, heißt es. Inwiefern war das auch für dich so?
Es ist schwieriger, weil man alle Songs, die man aufs erste Album packt, jahrelang mit sich herumgetragen hat. Der Turnus zum zweiten Album ist kürzer. Die Zeit, in der wir schreiben wollten, fiel genau in die Zeit, die für unser Land eine echte Herausforderung war: Flüchtlinge, offene Grenzen, die große Gegenwehr dagegen, die Folgen im gesellschaftlichen Ton. Auf einmal schien es keiner mehr auszuhalten, dass andere Leute eine andere Meinung hatten. Man wurde geradezu aufgefordert, Stellung zu beziehen, aber ich wollte keine durchpolitisierte Musik machen. Wir haben das durch eine Reise in den Iran abgeschüttelt. Wir wollten persische Musiker treffen und erfahren, was es bedeutet, Künstler in einer Diktatur zu sein. Als wir wieder hier waren, haben wir „Eigentlich“ geschrieben.
Warum ist euer Album bewusst nicht politisch? Sonst bist du doch durchaus politisch.
Man kann nicht nicht politisch sein. Ob ich hingucke, ob ich mich engagiere oder ob ich weggucke und so tu, als gäbe kein Problem – in jedem Fall hat mein Handeln eine Konsequenz. Aber ich wollte nicht mit erhobenem Zeigefinger oder der Faust auf die Zwölf etwas Didaktisches abliefern.
Das Album heißt „2 Seiten“. Worauf spielt der Titel an?
„Alles hat seine zwei Seiten“ – dieser Satz soll uns sagen, dass es sich immer lohnt, eine Sache auch von ihrer anderen Seite zu betrachten, den eigenen Standpunkt zu verlassen und den der Gegenseite oder eines anderen Menschen einzunehmen. Wie schwer das wirklich ist, es ins eigene Leben zu übertragen, erleben wir gerade. Aber wenn man sich in den anderen hineinversetzt, ist die Hälfte schon geschafft. Die großen, guten Sachen der Menschheitsgeschichte sind immer durch Kooperation und Miteinander entstanden, nie durch Feindseligkeit, Hass und Abgrenzung.
Du hast mal gesagt, der Unterschied zwischen Tragödie und Komödie ist: In beiden Fällen fällt ein Mensch hin, aber entweder bleibt er liegen oder er steht auf. Wo erlebst du so etwas?
Für mich liegt das dicht beieinander. Die Tragödie passiert vor der Komödie. Eine Komödie ist eine Tragödie, bei der die Schatten abgezogen sind. Ich erlebe das zum Beispiel auf der Tour. Wir stehen im Proberaum, haben tolle Ideen, reden uns die Köpfe heiß, machen uns Gedanken, wie wir es am besten spielen. Jemand, der von außen draufguckt, würde sich wegschmeißen vor Lachen.
Das ist auch eine Einstellungssache.
Genau, ich will nicht in meine Probleme eingezwängt sein. Sie sollen mich nicht beherrschen oder lähmen. Selbst wenn ich im Auge des Orkans bin und es keinen Ausweg zu geben scheint, versuche ich innerlich zu tänzeln wie ein Boxer.
Bald spielt ihr in Hamburg, wo du früher am Thalia-Theater gearbeitet hast. Gibt es ein besonderes Hamburg-Erlebnis für dich?
Ich habe fast fünf Jahre in Hamburg gelebt, bin in dieser Zeit 15 Mal umgezogen und habe in fast allen Stadtteilen mal gewohnt. Das prägt mein Hamburgbild. Die Zeit am Thalia-Theater war für mich als Schauspieler total wichtig, um mich freizuschwimmen. Anfangs hatte ich Anlaufschwierigleiten mit den Hamburgern. Hamburger sind keine leicht zugänglichen Menschen, sondern eher distanziert. Aber wenn man einen Hamburger als Freund gewonnen hast, ist das Treue bis zum Ende. Mein erstes Erlebnis war: Ich hatte ein Zimmer gemietet und wohnte da gerade zwei Wochen. Da sprach mich jemand im Haus an: „Sie wohnen hier schon seit 14 Tagen und haben noch nicht einmal so richtig gefeudelt.“ Dieses Wort („feudeln“) hatte ich noch nie gehört. Ich dachte: „Was zum Kuckuck meint der? Sind die Wände hier so dünn? Meint der, ich habe keine Freundin?“