Hannes Waders Autobiografie – und eine Geschichte der Bundesrepublik
Er ist einer der bekanntesten Liedermacher Deutschlands, sein „Heute hier, morgen dort“ hat wohl jeder Deutsche schon gehört und gesungen: Hannes Wader. Von Protestsong bis Volkslied, von gesellschaftskritischem Talking Blues bis chansonartigem Schlager und Shanty hat Hannes Wader ziemlich viel ausprobiert und die deutsche Liedermacherszene wie kaum ein anderer geprägt.
In seiner Autobiografie „Trotz alledem“ gewährt er seinen Lesern Einblicke in sein Leben – und geht dabei teilweise selbstreflexiv-analytisch, aber immer auch poetisch vor. Auf den insgesamt knapp 600 Seiten schildert er zunächst seine harte Kindheit im Nachkriegsdeutschland. Allerdings ohne zu jammern (denn eine schwere Kindheit hatten im Nachkriegsdeutschland alle, wie Wader anmerkt). Er beschreibt einzelne Erlebnisse, die zusammengenommen einen guten Eindruck seines Alltags geben – und schwer im Magen liegen. Gerade der Anfang des Buches ist keine leichte Kost.
Seine späteren Jahre in Berlin, seine ersten Auftritte auf Burg Waldeck, seine Begegnung mit Reinhard Mey und Schobert und Black, Insterburg & Co. und wie sie alle heißen – all das schreibt er in einem schieren Erinnerungsstrom, bleibt dabei aber immer nachdenklich und reflektiert, kommentiert seine Handlungen, erklärt seine Motive. Sein Hin-und-Her-Getriebensein macht ihn zu jemandem, der ständig auf der Suche ist, zu einer Art Dr. Faust.
Wie seine Lieder ist auch seine Autobiografie eine Gesellschaftskritik bzw. eine Gesellschaftsbeschreibung, die er mit messerscharfem Blick und ebenso präzisen Formulierungen skizziert. Manchmal böse-sarkastisch, manchmal geradezu fatalistisch, gespickt mit zahlreichen Liedtexten kriegt man selbst als eingefleischter Fan (aber auch als Hannes-Wader-Neuling) einen noch tieferen Bezug zu seinen Liedern. Es lohnt sich, die Lektüre bei den Lied-Passagen zu unterbrechen und das entsprechende Lied zu hören.
Nachkriegszeit, 68er- und Friedensbewegung, Deutscher Herbst – überall war Hannes Wader dabei. Deshalb ist seine Autobiografie nicht nur ein Rückblick auf sein Leben, sondern eine gesellschaftskritische Geschichte der Bundesrepublik – durch die Augen Hannes Waders betrachtet. Aufrichtig, ehrlich, spannend, toll geschrieben. Eine packende und bewegende Biografie von und über einen feinsinnigen Revoluzzer und romantischen Weltverbesserer – der sich von mancher Illusion verabschieden musste.
Hannes Wader: „Trotz alledem. Mein Leben“, Penguin, 592 S., 28 Euro