Me Too ohne erhobenen Zeigefinger
Julia ist fast 40, freie Journalistin und hält sich mit Artikeln über Gesundheitsthemen über Wasser. Doch dann setzt ihr Chef setzt sie endlich auf eine Knallerstory an: Sie soll Hinweisen auf sexuelle Übergriffe an einem renommierten Forschungsinstitut nachgehen. Julia ist erst skeptisch, hält die ganze Me-Too-Debatte für überzogen. Doch je tiefer sie in ihre Recherche eintaucht, desto mehr findet sie über die miesen Praktiken heraus – über Machtmissbrauch, Vertuschung und Schweigen.
Die Geschichte wird für sie plötzlich persönlich, als sie herausfindet, dass ihr vor zwölf Jahren verschollener Bruder Robert irgendwie mit drin steckte in diesem Geflecht aus Lügen, Missbrauch und Wegsehen. Kann sie ihren Artikel trotzdem umsetzen?
Amelie Fried ist mit „Die Spur des Schweigens“ ein eindrucksvoller Roman gelungen, der sich mit dem Tabuthema sexueller Missbrauch beschäftigt. Sowohl die anfänglichen Zweifel der Protagonistin als auch ihr Dazulernen, ihr Hadern und ihre Selbsterfahrung von Machtmissbrauch bereitet die Autorin einfühlsam und glaubhaft aus. Ein Roman, der nicht mit dem erhobenen Zeigefinger daherkommt, aber dennoch aufzeigt, wo es überall Missbrauch geben kann, wie dieser aussehen kann und warum keiner darüber redet. Der flüssige Schreibstil ist das Sahnehäubchen, das dieses Buch absolut lesenswert macht.
Amelie Fried: „Die Spur des Schweigens“, Heyne, 496 S., 22 Euro