Neue Zeiten: Carmen Korn entlässt ihre Figuren in die Postmoderne

Neue Zeiten: Carmen Korn entlässt ihre Figuren in die Postmoderne

Jimi Hendrix, RAF-Terror, Mauerfall und die Backstreet Boys in einem Roman zu vereinen – das gelingt Carmen Korn ganz unprätentiös in „Zeitenwende“. Auf den dritten Band der Jahrhundert-Trilogie haben viele hingefiebert: Wie geht es mit den vier Hamburgerinnen Henny, Käthe, Ida und Lina weiter?

Der Roman beginnt 1970. Auf der Uhlenhorst hopst die mittlerweile 70-jährige Käthe über die Straße – ganz wie in ihren Kindertagen – einem Treffen mit ihren besten Freundinnen entgegen. Die vier betagten Damen schwelgen in Erinnerungen, wirken mit ihren neckischen Gesprächen beinahe jugendlich. Dabei haben sie längst Kinder, teilweise schon Enkel, die alle in wunderbarer Harmonie im großen Freundeskreis leben – „Freundesfamilie“ nennen sie das. In dieser Beschaulichkeit klingen die Unruhen der 70er wie Rauschen – im Hintergrund, aber doch präsent genug, um Aufmerksamkeit zu bekommen: Vietnamkrieg, RAF-Terror, Entführung und Ermordung der israelischen Olympia-Mannschaft.

Carmen Korn verschlingt die politischen und gesellschaftlichen Ereignisse mit den Geschichten ihrer Figuren. Dabei spielt ihr in die Hände, dass mittlerweile mit Lebenspartnern, Kindern und Enkeln weit mehr als 20 Personen im Henny-Kosmos leben. So wirken die Verwicklungen nicht allzu konstruiert, wenn auch die RAF-Machenschaften ungleich viel Platz einnehmen. Die Autorin, die jahrelang Redakteurin beim „Stern“ war und zahlreiche Krimis geschrieben hat, lässt ihre Figuren über das Dilemma diskutieren: über nötige Veränderungen und darüber, wie weit man bei einer Revolution gehen darf. Eine junge Frau aus der Freundesfamilie steckt sogar tief drin im Untergrund-Sumpf. Carmen Korn, Jahrgang 1952, erklärt ihre Konzentration auf den Stoff so: „Irgendwie war da eine große Faszination, eine Lust auf Rebellion und Anarchie, bevor das martialische Töten begann. Im Rückblick sehe ich das kritischer. Dem studentischen Protest aber, der Liberalisierung der Adenauer-Gesellschaft, bin ich immer mit Sympathie begegnet. Damals wurden gesellschaftliche Verkrustungen aufgebrochen. Das war überfällig.“

Doch natürlich bleibt der Roman nicht in den 70ern stehen. Bis zur Jahrtausendwende begleitet Korn ihre Protagonisten, streift Tschernobyl, die Montagsdemonstrationen, DDR-Flucht, Wiedervereinigung, Aids und das Aufkommen des Internets. Allerdings muss sie sich aber auch von einigen Akteuren trennen: Im dritten Band sterben viele der Hauptfiguren, was die Autorin selbst traurig findet. Sie empfand beim Schreiben „Wehmut und Abschiedsschmerz. Ich liebe meine Figuren. Sie fehlen mir.“ Diese Liebe zu den Protagonisten merkt man dem Roman an. So richtig leiden muss keiner, jede kleinere Krise trägt die ganze „Freundesfamilie“ mit, für alle hat Carmen Korn ein Happy End parat.

Und so ist ihre Jahrhundert-Trilogie eine Familienchronik, die dezent zeigt, welche Auswirkungen politische und gesellschaftliche Veränderungen auf das alltägliche Leben der gutsituierten Familien in Hamburg hatten. Etwa, wenn Katja und Alex zu Fluchthelfern werden, wenn Ruth im Gefängnis landet, wenn Klaus bangt, Aids zu haben. Ruhepol, Konstante und Kitt der Familie ist Henny – die einzige, die es ins neue Jahrtausend schafft. Deren Liebeserklärung an Hamburg („Ich hätte in keiner anderen Stadt lieber gelebt.“) spricht Carmen Korn, die seit 1975 in der Hansestadt lebt, aus der Seele: „Anfangs habe ich gefremdelt, fand die Stadt spröde, verglichen mit Köln und München, wo ich vorher gelebt hatte. Doch das hat sich schnell geändert. Ich möchte in keiner anderen mehr leben.“

Carmen Korn: „Zeitenwende“, Kindler, 560 S., 19,95 Euro

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